Betreff
Bürgerbegehren "Wahrung des Erstzugriffsrechts" Marshall Heights, hier: Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gemäß Art. 18 a Abs. 8 GO und Entscheidung über die Erledigung des Bürgerentscheids durch Abhilfe gem. Art.18 a Abs. 14 GO
Vorlage
2013/135
Art
Sitzungsvorlage (Beschluss)

 

I.       Am 19.03.2013 haben die Vertreter der Initiative Marshall Heights Herrn Oberbürgermeister Müller im Rathaus der Stadt Kitzingen den Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids „Wahrung des Erstzugriffsrechtes auf die ehemalige US-Wohnsiedlung Marshall Heights durch die Stadt Kitzingen“ übergeben. Insoweit wird auf die dieser Sitzungsvorlage beigefügte Anlage 1 verwiesen.

 

II.      Zu Nr. 2 des Beschlussentwurfs: Gemäß Art. 18 a GO hat der Stadtrat über die Zulässigkeit des eingereichten Bürgerbegehrens unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Einreichung des Bürgerbegehrens zu entscheiden. Da der Antrag auf Durchführung eines Bürgerbescheides (= Bürgerbegehren) am 19.03.2013 übergeben wurde, läuft die Monatsfrist am 19.04.2013 ab, so dass die Entscheidung am 11.04.2013 erforderlich ist.

 

Der Prüfumfang bezieht sich bei der Zulässigkeitsprüfung sowohl einerseits auf die formellen Voraussetzungen, die Art. 18 a GO an das Bürgerbegehren stellt, als auch auf die Frage, ob mit dem Bürgerbegehren bzw. dem dann durchzuführenden Bürgerentscheid unzulässigerweise gegen die Rechtsordnung verstoßen wird.

 

Im Ergebnis der durch die Verwaltung in Abstimmung mit dem Landratsamt Kitzingen durchgeführten Zulässigkeitsprüfung ist es vertretbar, den Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids mit all seinen Bestandteilen (Überschrift, Fragestellung, Begründung) als zulässig anzusehen.

 

Folgende formelle Voraussetzungen an das Bürgerbegehren müssen erfüllt sein:

 

1.   Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises der Stadt Kitzingen
(Art. 18 a Abs. 1 GO):

 

a)  Dies ist hinsichtlich der Teilfragestellung unter Ziffer 1 gegeben. Hinsichtlich der Teilfragestellung unter Ziffer 2 ist dies nur dann der Fall, wenn der Erhalt des Wohnraums als Teil der Zweckerklärung im Zusammenhang mit der Ausübung des Erstzugriffsrechts anzusehen ist und auch nur für den Fall, dass die Stadt Kitzingen vom Erstzugriffsrecht insoweit erfolgreich Gebrauch gemacht hat, als dass später tatsächlich erworben wird, da ansonsten eine Verfügungsberechtigung der Stadt Kitzingen nicht vorliegt. Die Teilfragestellung unter Ziffer 3 beinhaltet eine planerische Festlegung der Stadt Kitzingen. Hier gilt der Grundsatz der Rechtsprechung, dass ein Bürgerbegehren, das auf eine Vorentscheidung zum Inhalt eines Bebauungsplanes zielt, nicht von vorneherein gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB verstößt, wenn nur Rahmenfestlegungen betroffen sind, die einen Planungsspielraum von substantiellem Gewicht belassen und genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange offen lassen. Davon kann hier ausgegangen werden.

 

b) Der Negativkatalog in Art. 18 a Abs. 3 GO ist nicht betroffen.

 

c) Sonstige Formerfordernisse, Einreichung (Art. 18 Abs. 4 GO)

 

aa) Adressat und Antragstellung: unproblematisch erfüllt

 

bb) Kennzeichnung als Bürgerbegehren: Mit der Bezeichnung der beigefügten Unterschriftslisten als „Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids“ ist dies gegeben.

 

cc) Gestaltung der Unterschriftslisten: Hier sind die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllt, da die Unterschriftslisten dergestalt abgegeben wurden, dass auf jeder Vorderseite eines Blattes die Fragestellung samt Begründung und Angabe der Vertreter enthalten ist und sodann auf der Vorderseite die Liste der Unterschriften mit fortlaufender Nummerierung beginnt und auf der Rückseite jeweils fortgeführt wird. Dies genügt den Anforderungen der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes.

 

dd) Es handelt sich auch nur um ein Bürgerbegehren, auch wenn die einzelne Fragestellung in verschiedene Teilfragen untergliedert wurde.

 

ee) Fraglich ist, ob es sich hier um eine unzulässige Koppelung von (Teil-) Fragen bzw. (Teil-)Maßnahmen handelt.

 

Verboten ist die Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in einer Fragestellung. Welche Materien sachlich in einer Weise zusammenhängen, die in einem Bürgerbegehren verbunden und den Abstimmungsberechtigten mit einer Frage zum Bürgerentscheid vorgelegt werden dürfen, beurteilt sich nach materiellen Kriterien. Die bloß formale Verbindung unter dem Dach einer Fragestellung genügt ebenso wenig, wie die Verknüpfung durch ein gemeinsames allgemeines Ziel oder ein politisches Programm. Maßgeblich ist, ob die Teilfragen oder -maßnahmen nach objektiver Beurteilung inhaltlich eng zusammenhängen und eine einheitlich abgrenzbare Materie bilden (BayVGH, BayVBl 2008, 82/83).

 

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze zeigt sich, dass die hier gewählte Fragestellung mit den drei Teilfragen nicht unproblematisch ist. Schließlich beinhaltet die Fragestellung zur Wahrung des Erstzugriffsrechts nicht zwingend, dass eine Aussage zum Erhalt des im Gebiet der Marshall Heights gelegenen Wohnraums zu erfolgen hat und gleichzeitig eine Aussage zur Schaffung eines Wohngebietes mit ausreichendem planerischen Freiraum erforderlich ist. Die Frage ist, ob sich hier noch ein genügender sachlicher Zusammenhang nach objektiven Kriterien zeigt.

 

Schlussendlich dürfte dies aber unter Berücksichtigung des Themas des Bürgerbegehrens „Wahrung des Erstzugriffsrechtes“ noch zu bejahen sein: Der Zusammenhang aller Teilfragen liegt darin, dass das Erstzugriffsrecht ausgeübt werden soll. Mit dieser Ausübung ist es nach der Konstruktion des Erstzugriffsrechtes erforderlich, eine Aussage zur zukünftigen Nutzung zu treffen. Ferner ist es nicht sinnvoll, sondern schon nach haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten vorgesehen, vor dem Erwerb von Grundstücken den späteren Nutzungszweck festzulegen. Dem Bürger stellt sich die Fragestellung so dar, dass das Erstzugriffsrecht zum Zwecke der Nutzung des bestehenden Wohnraums einschließlich einer Überplanung des Gebiets als Wohngebiet ausgeübt wird. Damit ist ein Sachzusammenhang gegeben, der es dem Bürger erlaubt, sich für die Ausübung des Erstzugriffsrechts zum Zwecke der Wohnnutzung auszusprechen. Damit wird im Ergebnis die Koppelung der Teilfragen als zulässig angesehen werden können.

 

ff)    Entscheidungscharakter der Fragestellung: Hier ist die Teilfragestellung Ziffer 3 problematisch, da dort gefragt wird, ob die Voraussetzungen für die Entwicklung eines Wohngebietes geschaffen werden sollen, die den Vorstellungen der zukünftigen Nutzer größtmögliche planerische Freiheit lässt.

 

Aus der Begründung zum Begehren lässt sich entnehmen, dass es inhaltlich um eine Überplanung geht, also darum, einen B-Plan für ein WA oder WR zu erlassen. Ein entsprechender Bürgerentscheid auf dieser Grundlage wäre als eine Art Grundsatzbeschluss zu werten, den die Stadt in größeren Bauvorhaben auch in anderen Bereichen oftmals vor der Einleitung eines B-Plan-Verfahrens fasst.

 

gg) Fragestellung

 

Problematisch ist hier das so genannte Bestimmtheitserfordernis. Dies verlangt, dass erkennbar ist, welchen Inhalt die spätere, durch den Bürgerentscheid herbeizuführende Entscheidung haben wird. Da ein mit Bürgerbegehren erzwungener Bürgerentscheid die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses hat (Art. 18 a Abs. 13 Satz 1 GO), muss die zu entscheidende Fragestellung nur so konkret formuliert sein, wie die Beschlüsse des Gemeinderates selbst.

 

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf die einzelnen Teilfragestellungen bedeutet dies Folgendes:

 

Ziffer 1: Grundsätzlich ist die Frage unproblematisch, aber: Weiß der durchschnittliche Bürger, was das „Erstzugriffsrecht“ ist? Weiß er, welche Konsequenzen sich aus der Wahrung dieses Rechts ergeben? Und ist ihm klar, dass dieses allein nicht zum Kauf zwingt oder automatisch führt? Die Rechtsprechung des BayVGH geht dahin, dass ein Bürgerbegehren nicht dadurch unzulässig wird, weil die Fragestellung komplex ist und sich dem durchschnittlichen Leser nur bei aufmerksamer Lektüre erschließt. Vorliegend erfolgt in der Fragestellung selbst keine direkte Erläuterung des Begriffs „Erstzugriffsrecht“: In der Begründung ist dieses nur im ersten Satz erwähnt. Aus der Presse und den ausführlichen Berichterstattungen in der Zeitung insbesondere nach der öffentlichen Sitzung des Stadtrates am 04.03.2013 und im Vorfeld durch die Berichterstattung über die Initiative Bürgerbegehren Marshall Heights ist aber eine breite Information der Öffentlichkeit zugrunde zu legen, so dass man – noch – davon ausgehen kann, dass der durchschnittliche Bürger aus den Fragen und aus der Begründung heraus versteht, wofür er seine Stimme abgibt.

 

Ziffer 2 ist in diesem Zusammenhang unproblematisch.

 

Ziffer 3: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass auch – und gerade – Grundsatzentscheidungen, die noch der Ausführung und Ausfüllung durch spätere Detailentscheidungen bedürfen, einem Bürgerentscheid zugänglich sind. Die Fragestellung braucht nicht so konkret unterbreitet werden, dass zur Umsetzung des Bürgerentscheids nur noch der Vollzug der Entscheidung durch den OB notwendig ist. Der Bedarf an weiteren ausführenden Entscheidungen schließt eine ausreichende Bestimmtheit und damit die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht aus.

 

hh) Objektive Unmöglichkeit

 

-       Das Erstzugriffsrecht muss aufgrund des Schreibens der BImA vom 21.11.2012 bis 21.05.2013 ausgeübt werden. Mit Schreiben der BImA vom 28.03.2013 wurde nun aber mitgeteilt, dass die Frist bis zum 31.07.2013 verlängert wird.

 

-       Durch die Entscheidung des Stadtrates am 04.03.2013, das Erstzugriffsrecht nicht in Anspruch zu nehmen, könnte eine objektive Unmöglichkeit gegeben sein. Jedoch wurde in Anbetracht des bereits angekündigten Bürgerbegehrens mit 28 : 0 Stimmen am 04.03.2013 beschlossen, die Beschlüsse zur Nichtausübung des Erstzugriffsrechts nicht sofort zu vollziehen, sondern abzuwarten, ob das Quorum im Rahmen des Bürgerbegehrens erreicht wird.

 

ii)     Begründung: Diese ist auch noch vertretbar.

 

Gleiches gilt für die Nennung der Zahl der Vertreter, die Unterschriften usw.

 

2.   Erreichung des Quorums: Am Stichtag der Einreichung des Bürgerbegehrens gab es 15.831 wahlberechtigte Bürger. Das diesbezügliche Quorum von 8 % ergibt eine Summe von 1.266 Bürgern.

 

Auf den Listen gab es insgesamt 2.059 Unterschriften. Davon waren ungültig (z. B. doppelt eingetragen, verzogen, verstorben) 51 und 528 ungültig wegen fehlender Wahlberechtigung, Unleserlichkeit oder nicht zu ermittelnder Anschrift). Insgesamt waren demnach gültig 1.480 Stimmen, so dass das Quorum erreicht wird.

 

3.                                                   (Weitere) Zulässigkeitsentscheidungen gemäß Art. 18 a Abs. 8 GO

 

Die Entscheidung über die Zulässigkeit bezieht auch eine materielle Rechtsmäßigkeitskontrolle mit ein.

 

a)    Fraglich ist hier, ob der Grundsatz der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung erfüllt wurde.

 

Dies wäre nicht der Fall, wenn mit der positiven Entscheidung über den Antrag zwingend der Erwerb der Liegenschaft verbunden wäre.

 

In konsequenter Anwendung der Auslegung, dass hier nur die Wahrnehmung des Erstzugriffsrechts gemeint sein kann, ist ein zwingender Verstoß gegen die Grundsätze des Art. 61 GO nicht ersichtlich. Zwar wird das Erstzugriffsrecht konkretisiert „zum Zweck des Zwischenerwerbs“, dies ist jedoch nach Auffassung der Verwaltung dahingehend zu verstehen, dass der Zweck des Erstzugriffsrechts eingeschränkt werden soll und klarstellen soll, dass die Stadt Kitzingen schlussendlich nicht Eigentümerin der Grundstücke bleiben soll. Dennoch ist klar, dass alleine mit der Ausübung des Erstzugriffsrechts noch keine verpflichtende haushaltswirksam werdende Entscheidung getroffen wurde.

 

b)    Hinsichtlich der Teilfragestellung Nr. 2 (Erhalt des Wohnraums) ist noch zu beachten, dass diese Teilfragestellung auch nur soweit reichen kann, als dass es unter Berücksichtigung aller öffentlich rechtlichen Vorschriften möglich ist, diesen zu erhalten. Sollte dies vereinzelt bauordnungsrechtlich oder auch unter Berücksichtigung gesunder Wohnverhältnisse nicht möglich sein, kann natürlich der insoweit betroffene Wohnraum auch in der bisherigen Form nicht erhalten bleiben.

 

Andere Gründe für eine materiell rechtliche Rechtswidrigkeit eines entsprechenden Bürgerentscheids sind nicht ersichtlich.

 

III.    Zu Nr. 3 des Beschlussentwurfs: Es besteht gemäß Art. 18 a Abs. 14 GO die Möglichkeit, dass der Stadtrat die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahmen beschließ und damit dem Bürgerbegehren abhilft. In diesem Fall entfällt der Bürgerentscheid. Für einen solchen Beschluss nach Art. 18 a Abs. 14 Satz 1 GO gilt die Bindungswirkung des dann gefassten Beschlusses so, als ob ein Bürgerentscheid erfolgt wäre, d. h. innerhalb eines Jahres darf dieser Stadtratsbeschluss nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden, es sei denn, dass sich die zugrunde liegende Sach- und Rechtslage wesentlich geändert hat. Da mit einem solchen Beschluss die Vorbereitungen für die Durchführung des Bürgerentscheids entfallen würden, anderenfalls diese unverzüglich beginnen müssten, ist insoweit eine Dringlichkeit gegeben.

 

Sofern der Stadtrat diese Abhilfe beschließt, müsste den Vertretern des Bürgerbegehrens gegenüber förmlich mitgeteilt werden, dass dem Bürgerbegehren mit diesem Stadtratsbeschluss abgeholfen wird. Die Vertreter des Bürgerbegehrens können die Durchführung des Bürgerentscheids gerichtlich erstreiten, wenn die Abhilfeentscheidung gem. Art. 18 a Abs. 14 Satz 1 GO innerhalb der gesetzlichen Bindungsfrist nicht, zu spät oder unzureichend vollzogen wird.

 

IV.    Zu Nr. 4 des Beschlussentwurfes: Sofern kein entsprechender Beschluss gemäß Art. 18 a Abs. 14 GO gefasst wird, ist zu beschließen, wann der Bürgerentscheid durchzuführen ist. Da die BImA die Fristverlängerung bis zum 31.07.2013 gewährt hat, besteht keine Notwendigkeit, so wie zunächst angedacht, am 19.05.2013 den Bürgerentscheid durchzuführen.

 

Stattdessen kommt nunmehr als geeigneter Sonntag der 07.07.2013 in Frage.

 

 

1.      Vom Sachvortrag wird Kenntnis genommen.

 

2.      Das Bürgerbegehren „Wahrung des Erstzugriffsrechtes auf die ehemalige US-Wohnsiedlung Marshall Heights durch die Stadt Kitzingen“ mit seiner Fragestellung und Begründung wird als zulässig im Sinne des Art. 18 a Abs. 8 GO angesehen.

 

3.      Es besteht Einverständnis, die mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahmen durchzuführen, d. h. der BImA gegenüber fristgerecht das Erstzugriffsrecht zum Zwecke des Zwischenerwerbs auszuüben, im der BImA vorzulegenden Nutzungskonzept von einem Erhalt des vorhandenen Wohnraums auszugehen und der BImA gegenüber die Absicht der Entwicklung eines Wohngebietes mit größtmöglicher planerischer Gestaltungfreiheit für die zukünftigen Nutzer mitzuteilen. Es besteht ebenfalls Einverständnis, auf dieser Grundlage ein entsprechendes Nachnutzungskonzept erstellen zu lassen.

 

Alternativ zu 3.:

 

4.      Gemäß Art. 18 a Abs. 10 GO wird der Bürgerentscheid am Sonntag, den 07.07.2013 durchgeführt.

 

5.      Es besteht Einverständnis, Herrn Oberbürgermeister Müller zum Abstimmungsleiter zu bestellen. Als stellvertretender Abstimmungsleiter wird Herr Jörg Engelbrecht bestellt.